Während der Pandemie war ich, wie wahrscheinlich fast alle, viel online unterwegs. Habe alle möglichen Kurse online gemacht, mich virtuell mit Freunden getroffen, jede Menge eigene online Kurse und Workshops gegeben. Freundschaften in dieser virtuellen Welt geschlossen, Business-Kontakte geknüpft, eine virtuelle Assistentin gefunden und so vieles mehr. Nach der Pandemie war für mich ganz klar, dass ich aus dem online-Game aussteige und wieder mit Menschen vor Ort arbeiten möchte. Dieser switch von der riesigen online Blase hin zur realen Welt brachte erstaunliche Erkenntnisse, die ich so nie erwartet hätte und die mich so manches mal ein bisschen ratlos zurück gelassen haben.
Social Media, die geschönte Realität
Je mehr Zeit wir auf Social Media verbringen um so mehr halten wir dies was dort präsentiert wird für die Realität. Wir beginnen uns zu vergleichen mit dem perfekten Leben, dem grandios laufenden online Business, der perfekten Beziehung, den perfekten Kindern, dem perfekten Lifestyle. Dabei können wir bei jedem einzelnen Vergleich eigentlich nur verlieren. Jede Story jeder Snap ist einfach die perfekte Inszenierung. Gezeigt wird nur die geschönte Realität, manchmal auch die wirklich echten perfekten Momente im Leben. Auch mal Tränen aber nur dann, wenn sie gerade dienlich sind. All die Storys dienen dazu Nähe und Authentizität zu vermitteln und aus dieser Nähe heraus dann ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen. Ich kenne wirklich nur sehr wenige, die diesen ganzen Zirkus aus Spaß und ohne eine Verkaufsabsicht im Hintergrund, veranstalten.
Mit diesem perfekten Bild, das wir nun im Kopf haben, gehen wir raus ins echte Leben und stellen ziemlich schnell fest, dass all das was online so mühelos aussieht, im realen Leben ganz anders oder halt auch gar funktioniert. Während wir online mehr oder weniger blind Coachingangebote buchen, ist die Auswahl offline dann schon schwieriger. Warum fällt es uns so leicht online zu kaufen? Wir denken, wir kennen die Person, der wir vielleicht seit Monaten folgen, deren Leben (oder zumindest das was die Story zeigt) und Lifestyle und fassen so Vertrauen. Es wird selten bis nie nach der Qualifikation gefragt. Nur danach, ob das Produkt mir bei meinem Problem helfen kann. Im realen Leben ist es anders - hier suchen wir gezielt nach jemand der gut qualifiziert ist und uns bei unserem Problem weiter helfen kann. Wenn jemand in der Praxis einen Termin möchte, werde ich zu 90% nach meinen Ausbildungen gefragt, in meiner online Zeit ist mir das kein einziges Mal passiert.
Würde eigentlich irgend jemand im realen Leben auf die Idee kommen, Dir erst mal aus dem eigenen Leben zu erzählen bevor sie Dir ihr Angebot unterbreitet? Würde das im echten Leben tatsächlich auch so funktionieren? Ich glaube nicht, eher das Du ziemlich doof angeschaut werden würdest, wenn Du jemanden der einen Kurs bei Dir buchen will, erst mal ausführlich von Deinem Tag berichten würdest.
Du brauchst nicht noch einen Selbstlernkurs
Während wir uns online in diversen Coachings oder Yogastunden verstecken können, in dem wir einfach die Kamera ausmachen, ist das offline so gar nicht möglich. Da sehe ich, wenn jemand so schief in einer Position ist, dass sie sich verletzen könnte und biete Hilfestellung oder Alternativen an. Im Coaching ist 1:1 ein verstecken gar nicht mehr möglich. Das was nicht ausgesprochen werden will, wird doch über Mimik und Körpersprache vermittelt. Spannend war für mich auch die Erkenntnis, dass die meisten Coaching-Angebote mittlerweile online als Selbstlernkurs mit einzelnen Gruppencoaching-Terminen verkauft werden und es gar nicht mehr gewünscht ist 1:1 zu arbeiten. Kürzlich suchte ich jemand für eine sehr spezifische Problematik und wurde in meinem Wunsch nach einem 1:1 immer wieder abgewiesen. Ist Individualität nicht mehr gewünscht oder ist es einfach zu mühsam nicht Schema F anwenden zu können? Ist es uns wirklich lieber uns quasi selbst zu coachen anstatt gemeinsam mit jemand die wunden Punkte anzuschauen? Siehst Du in einem Selbstlernkurs wirklich die relevanten Punkte? Die, bei denen sich wirklich etwas verändern kann? Geht das überhaupt alleine? Suchen wir da nicht immer an den gleichen Stellen mit vielleicht unterschiedlichen Methoden?
Und dann ist da noch die Sache mit den kurzen knackigen Fragen zu allen möglichen Diagnosen à la „wenn Du diese 5 Dinge auch kennst, bist Du wahrscheinlich auch…“ Du glaubst gar nicht wieviele Menschen wir in der Praxis sitzen haben mit selbst diagnostizierten ADHS oder ähnlichem. Diese online Welt suggeriert uns ein maximales Wissen, das wir selbst jederzeit abrufen und anwenden können. Manchmal ist das tatsächlich hilfreich aber manchmal eben auch gefährlich. Diese kurzen Videos können vielleicht einen kleinen Einblick in z.B. eine Angsterkrankung geben aber niemals eine vernünftige Diagnose und schon gar keine therapeutische Begleitung ersetzen.
Der Weg zurück zu mir
Für mich geht das alles nicht mehr. Eigentlich wollte ich nur ein paar Wochen Pause machen von Social Media und der Dauerwerbebeschallung. Je länger die Pause dauerte umso mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr Teil dieser Welt sein will. Wie viel wichtiger mir der direkte Kontakt ist. Wie viel leichter es mir fällt Räume zu halten und Gruppen in die Entspannung zu führen, wenn ich dies in Präsenz tun kann. Wieviel schöner es ist, nach einem Vortrag direkt und vis a vis Feedback zu bekommen. Wie wertvoll, jeder kurze Austausch vor und nach den Yogastunden ist. Wie sehr ich es genieße unterwegs zu sein. Auch wenn ich mein zu Hause liebe, ist es jeder Perspektivwechsel so wertvoll und so wichtig. Wegen all dem und noch viel mehr, findest Du mich nur noch selten online. Es hat eine ganze Weile gedauert das zu verstehen und auch zu akzeptieren und nochmal so lange bis ich mich getraut habe es aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Seit dem bin ich wieder viel mehr bei mir, viel präsenter im Moment, viel verbundener mit den Menschen um mich herum und viel verwurzelter im Leben inmitten des Chaos, das um uns herum tobt. Ob das Dein Weg ist weiß ich nicht aber eine Auszeit vom online Trubel ist sicher immer eine gute Idee um herauszufinden, wieviel davon Du wirklich bist und was davon nur eine Ansammlung von Ideen ist, wer Du gerne wärst.
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