Jeder der ein Kind zwischen 8-10 Jahren hat wird das Problem kennen – der Wechsel auf eine weiterführende Schule steht bevor. Was sich erst mal nach einer relativ banalen Angelegenheit anhört entpuppt sich recht schnell als ein komplexes Thema das in den nächsten Monaten das einzige Gesprächsthema sein wird, das in der Schule, im Freundeskreis und unter Eltern vorhanden ist.
Die Kinder werden in dieser Zeit einem enormen Druck ausgesetzt. Mit Beginn der 3. Klasse herrscht ein Konkurrenzkampf um gute Noten, damit man auch ja die Gymnasialempfehlung bekommt, alles andere kommt für viele Eltern erst gar nicht in Frage. Der Druck auf die Kinder ist enorm.
Nach einer normalen Schulwoche heißt es dann am Wochenende die Schulen, die die Eltern vorausgewählt haben, zum Tag der offenen Tür zu besuchen und natürlich auch am Probeunterricht teilzunehmen. Die Kinder werden in eine für sie völlig neue Welt geschickt. Menschenmengen schieben sich durch die Schulgebäude, in jedem Klassenraum gibt es etwas anderes zum Ausprobieren oder Anschauen: Knobelaufgaben in Mathematik, in Erdkunde können Länder auf einer Europakarte zugeordnet werden, in Englisch gibt es Probeunterricht, genau wie in Deutsch, im Kunstraum kann gemalt oder gebastelt werden, im Musikraum können Instrumente ausprobiert werden oder das Schulorchester zeigt sein Können. Parallel dazu stellt die Schulleitung ihr Konzept den Eltern vor.
Nachdem man dann nach ca. 3 Stunden das Schulgebäude verlassen hat heißt es das Für und Wider abzuwägen und mit den anderen Schulen zu vergleichen. Eine Schule mit Schwerpunkt Musik oder doch lieber Naturwissenschaften oder Sport? Englisch als erste Fremdsprache oder Französisch? Wie soll man das entscheiden? Bleibt das musikalische Interesse auch später noch bestehen? Ist die jetzige Leidenschaft für Mathematik in der Pubertät auch noch vorhanden? Wenn Gymnasium, dann G8 oder G9?
In der Klasse wird sich ausgetauscht, welche Schulen in Frage kommen würden. Den Kindern wird dann relativ schnell klar, dass wenige Freunde die Gleiche Schule mit den Gleichen wählbaren Variablen auf die Gleiche Stelle auf dem Anmeldebogen setzten würden und die Wahrscheinlichkeit doch groß ist, nicht mit den Freunden gemeinsam auf eine Schule zu wechseln.
Die Unsicherheit der Kinder wird dann in der 4. Klasse noch gesteigert, wenn dann endlich die Elterngespräche mit den Lehrern stattfinden und die Schulzweig-Empfehlung ausgesprochen wird. Haben wir uns die richtigen Schulen angeschaut. Bekommt die beste Freundin den gleichen Schulzweig empfohlen und was wenn nicht? Was ist, wenn alle die Gymnasialempfehlung bekommen nur unser Kind nicht?
Ich frage mich, müssen 8-10 jährige Kinder einem solchen Druck ausgesetzt werden? Muss es sein, das Kinder in diesem Alter vor solche für sie existentiellen Fragen gestellt werden? Ist es wirklich zumutbar Kinder in Entscheidungen einzubeziehen, die sie überhaupt nicht treffen können?
Wenn dann endlich die Entscheidung getroffen ist, welche Schulen wo auf dem Anmeldbogen stehen, heißt es warten. Zwei Monate werden die Kinder weiter im Ungewissen gelassen, welche Schule sie denn nun aufnehmen wird und wer von den Freunden auch dort eine Zusage bekommt. Weitere zwei Monate in denen die Ungewissheit den Alltag der Kinder und auch der Eltern bestimmt. Die Kinder sind nervös, schlafen schlecht und haben Zukunftsängste.
Wenn dann endlich die Zusage von der hoffentlich richtigen Schule kommt. Bleiben immer noch die Fragen die eigentlich wichtig für das Kind sind: Schaffe ich den Schulweg alleine mit dem Bus oder der Bahn? Wie werde ich mich in dem neuen Gebäude zurechtfinden. Wie wird es sein wieder zu den Kleinsten zu gehören? Wie werden die neuen Lehrer sein, wie die neuen Fächer? Werde ich nette Klassenkameraden haben und neue Freunde finden? Und auch hier heißt es wieder warten bis nach den Sommerferien, um auch diese Fragen beantwortet zu bekommen.
Letztendlich sind die Kinder 1 ½ Jahre einem enormen Druck ausgesetzt und das zusätzlich zu dem Notendruck der ohnehin in den Klassenzimmern herrscht. Der Druck den die Kinder spüren verändert Teile des Familiensystems. Kinder stellen Fragen, die die Eltern nicht beantworten können, weil viele Fragen einfach erst nach monatelangem Warten beantwortet werden können. Viele Eltern fühlen sich hilflos und auch machtlos gegenüber den Ängsten und dem Druck, den ihre Kinder in dieser Zeit aushalten müssen. Die Aufgabe der Eltern wird es sein, den Kindern zuzuhören und für sie da zu sein. Die Kinder immer wieder ermutigen, dass sie ihren Weg gehen werden, egal auf welche Schule dieser sie führen wird. Ihnen Halt geben und sie ermutigen, dass Freundschaften halten können und dürfen, auch wenn der Schulalltag nicht mehr miteinander geteilt werden kann. Schule ist nur ein Lebensbereich. Gerade in der Zeit in der in diesem Bereich soviel Ungewissheit herrscht, sollten die anderen Bereiche stabil sein und sich für die Kinder sicher anfühlen – Familie, Freundschaften und ihre Hobbys.
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