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AutorenbildDaniela Girg

Loslassen: Warum fällt es uns so schwer?

Heute mittag lief ich bei strahlendem Sonnenschein, eine große Runde durch den bunten Herbstwald. Während das bunte Laub unter meinen Füßen knirschte, musste ich darüber nachdenken, dass die Bäume ganz selbstverständlich ihre Blätter loslassen, wenn es im Herbst Zeit dafür ist. Die Natur weiß, dass es wichtig ist diese alten verbrauchten Blätter abzuwerfen, um im Winter zu überleben und genug Kraft tanken zu können, um im Frühling wieder austreiben zu können. Niemand würde auf die Idee kommen, die Blätter am Baum halten zu wollen oder gar das gefallene Laub wieder an den Ästen befestigen zu wollen. Es ist der Lauf der Natur, das sich im Frühling neue Knospen und Blätter bilden, im Sommer die Natur zu ihrer vollen Blüte erwacht und im Herbst, wenn die Ernte abgeschlossen ist, die Blätter sich mit einem bunten Farbenspektakel verabschieden. Im Winter sehen wir eine kahle und triste Natur, die sich manchmal von Schnee bedeckt, erholt und wieder Kraft tankt um im Frühjahr wieder zu neuer Blüte zu erwachen.


Ganz oft lese oder höre ich „Du musst einfach nur loslassen und machst damit Platz für Neues“. Im Yin Yoga ist Loslassen ein großer Bestandteil einer jeden Klasse.


Ist Loslassen wirklich so einfach und wenn ja, warum tun sich so viele von uns so schwer damit?


Ich glaube, wir müssen hier sehr genau unterscheiden, was wir denn überhaupt loslassen wollen. Dinge loszulassen ist sicher eine der leichteren Übungen. Den Kleiderschrank z.B. regelmäßig auszumisten, den Keller zu entrümpeln, Dinge aussortieren, die schon lange nicht mehr in Benutzung waren, fällt den meisten von uns doch relativ leicht. Und irgendwie fühlen wir uns danach leichter und freuen uns vielleicht über den Platz der da in den Schränken wieder frei geworden ist.


Anders sieht es da schon aus, wenn wir einen Job, ein Projekt, ein Ziel, oder gar den Wohnort loslassen wollen. Mit all diesen Dinge sind wir emotional verbunden. Und auch wenn, an Kleidungsstücken vielleicht Erinnerungen hängen, sind diese doch intensiver und vielfältiger wenn wir versuchen einen Job loszulassen. Hier sind es nämlich oft nicht nur unsere eigenen Erinnerungen, sondern auch die Verbindung zu allen Menschen, die mit diesem Job zusammen hingen.


Ganz anders sieht es dann aus, wenn wir versuchen Menschen, Beziehungen oder Freundschaften loszulassen. Hier ist die emotionale Verbindung am Stärksten. Hier sind jede Menge Erinnerungen mit Emotionen verknüpft. Ganz oft hinterlässt das Loslassen von Menschen auch erst mal eine Lücke in unserem Leben. Dies Lücke lässt sich nicht so leicht wieder füllen und genau deswegen fällt uns das Loslassen hier auch viel schwerer. Die Lücke im Kleiderschrank lässt sich ganz leicht durch neue Klamotten wieder füllen. Die Lücke die ein Job und die Kollegen hinterlässt, durch einen neuen Job und neue Kollegen. Die Lücke die durch Herzensverbindungen entsteht, lässt sich nicht so einfach wieder füllen. Hierfür müssen wir erst einmal wieder herausfinden, wer wir denn eigentlich selbst sind. Wer sind wir ohne den anderen? Wer waren wir in dieser Beziehung?





Die Königsdisziplin: Beziehungen loslassen


Leben besteht aus einer Aneinanderreihung von Beziehungen - guten und schlechten, innigen und oberflächlichen, lauten und leisen, lebensverändernden und solchen, die einfach spurlos an uns vorüber ziehen. Viele Menschen kommen und gehen wieder. Einige hinterlassen bleibende Eindrücke, andere tiefe Narben. Manche bereichern unser Leben nur ganz kurz, andere viele Jahre. Entscheidend ist nie die Länge einer Beziehung oder Begegnung, sondern die Intensität. Wir sind Beziehungswesen und brauchen ein Gegenüber um heraus zu finden wer wir wirklich selbst sind, was wir wollen, wohin unser Weg uns führen soll und vor allem wie wahre Selbstliebe funktioniert.


Wenn wir in unserem Leben viele gute Beziehungserfahrungen gemacht haben, fällt es uns leicht uns selbst zu lieben. Wenn wir allerdings verletzende Beziehungserfahrungen gemacht haben und sich diese wie ein roter Faden, immer und immer wieder in Deinem Leben wiederholen, fällt es uns deutlich schwerer. Heilsame Beziehungserfahrungen können wir unser gesamtes Leben machen. Immer dann, wenn wir uns wirklich verstanden und gesehen fühlen, werden unerfüllte Beziehungserfahrungen und -bedürfnissen ein kleines Stückchen mehr erfüllt.


Wir alle tragen unsere ganz eigene Geschichte mit uns. Haben in unserem Leben ein Rucksack, voll gefüllt mit Erfahrungen - positiven wie negativen. Auch unser Köper speichert Erfahrungen im System ab. Bei Stress erhöht sich unser Muskeltonus. Wenn wir ein gut reguliertes Nervensystem haben, sinkt dieser hohe Tonus, relativ schnell wieder ab, sobald der Stress nachlässt. Wenn wir allerdings über einen längeren Zeitraum Stress ausgesetzt sind, wird aus dem hohen Muskeltonus, ein dauerhaft angespanntes System. Die Muskulatur wird hart und verkrampft mehr und mehr. Die Regulation unseres Nervensystems ist nicht mehr ganz so einfach.


All die Geschichten, die wir erlebt haben und all die Prozesse durch die wir hindurch gegangen sind, hinterlassen Spuren in unserem System. Wenn wir die Zusammenhänge erkennen und liebevoll akzeptieren, können wir die, im Hintergrund oft automatisch ablaufenden, Stressmuster unterbrechen.


Was wäre, wenn wir über den Körper anfangen könnten, einen Zugang zu uns selbst zu finden? Eine Brücke bauen könnten, zwischen fühlen und denken? Wenn wir unseren Köper und all die Signale, die er uns sendet als eine Art Seismografen sehen? Was würde sich dann in Deinem Stresserleben verändern?


Yin Yoga als Brücke zwischen fühlen und denken


Genau hier kann Yin Yoga eine gute Brücke bilden, zwischen all dem Stress, den wir angehäuft haben und dem Versuch, wieder mehr bei uns selbst anzukommen. Yin Yoga ist Meditation mit minimaler Bewegung. Durch das lange Halten der einzelnen Positionen, haben wir genug Zeit unseren Körper genau zu beobachten. Wir können genau beobachten, was sich beginnt zu verändern und vor allem, wie diese Veränderung sich anfühlt. Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn Dein Körper beginnt loszulassen? Ist es ein Gefühl, als würdest Du tiefer in die Position sinken? Ist es ein kribbeln, das sich im Körper beginnt auszubreiten? Oder ist es vielleicht eine kurze Muskelkontraktion, in der Dein Körper Spannung entlädt? Yin Yoga ist mehr als nur Körperübungen. Es eröffnet einen Raum, in dem Du Dir selbst begegnen kannst. Einen Raum, in dem Du erfahren kannst, wie Loslassen für Dich und Deinen Körper funktioniert. Wenn wir dies regelmäßig üben, können wir das Erlebte auch im Alltag viel besser umsetzen. Das heißt ganz und gar nicht, dass es uns dann super leicht fällt Beziehungen loszulassen oder wir ohne irgend einen Ballast durch die Gegend laufen. Es heißt aber, dass wir schneller wieder zu uns selbst zurück finden können, wenn das Leben uns einmal aus der Bahn wirft.


Yin Yoga ist für mich auch die Brücke zwischen Körperarbeit und emotionaler Arbeit. Wenn wir erfahren dürfen, dass loszulassen uns ein Stückchen näher zu uns selbst bringen kann, können wir den Herausforderungen, die das Leben uns stellt anders begegnen. Wenn wir den Loslass-Muskel trainieren, können wir dem Leben flexibler begegnen. Das heißt nicht, dass wir einfach im Vertrauen bleiben müssen und sich dann alles zu unserem Besten fügen wird. Sondern, dass wir akzeptieren dürfen, dass das Leben uns nun mal Herausforderungen stellt. Niemand führt ein Leben, in dem alles nur aus Glitzer-Regenbogen besteht. Wir alle haben immer wieder mit Loslass-Prozessen zu kämpfen und das ist ok, wenn wir uns bewusst machen, dass dies normal ist und nun mal zum Leben dazu gehört. Wir können unseren Loslass-Muskel mit Yin Yoga trainieren und wir können heilsame neue Beziehungserfahrungen machen. Loslassen ist ein Prozess, den wir immer und immer wieder erfahren dürfen. Genau wie die Natur im Herbst ihre Blätter abwirft um im Winter zu regenerieren, dürfen auch wir uns nach solchen Loslass-Prozessen Zeit zum integrieren und neu ausrichten nehmen.

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